1. Mit dem Zug ans Ende der Welt!
2. Jenseits des Sommers - der polare Juni in Russland
3. Westsibirien - wo Asien beginnt
4. Ural
5. Grenzen - vom Ural ans Kaspische Meer
6. Kasachstan - ein Land des weltoffenen Islam
7. Der Aralsee - ein schwindendes Meer in der Wüste
8. Über die Gletscher des Tien Schan- von Kasachstan nach Kirgisien
9. Kirgisien – Jurten, Berge und Korruption
10. Usbekistan - Land aus Tausend und einer Nacht
11. Aserbaidschan, Georgien – Öl, Kultur und gute Küche
12. Georgien – Verlobung auf 4000m, Mittelalter und Schwarzes Meer
13. Von Swaneti nach Schwarza- aus dem 16.Jahrhundert in die Gegenwart
Ja - es gibt einen Bahnhof am Ende der Welt: in Workuta!
Sicherlich gibt es viele Orte die dem sprichwörtlichen Ende der Welt recht nahe kommen, mein „Favorit“ ist Workuta: Eine überraschend große Stadt im äußersten Norden Russlands. Die Stadt liegt gerade noch in Europa am nördlichen Ende des Uralgebirges, 200 km nördlich des Polarkreises. Workuta ist der Ausgangspunkt einer 25.000 Kilometer langen Reise entlang der Grenze von Europa und Asien. Innerhalb von vier Monaten werden wir die gesamte Landgrenze unseres Kontinentes bereisen um Land und Leute beiderseits dieser imaginären Linie kennen zu lernen.
Startpunkt ist der nördlichste Zipfel des Uralgebirges, dem Grenzgebirge der Kontinente, dann werden wir entlang des Uralflusses zum Kaspischen Meer reisen. Weiter verläuft die Grenze über den Kamm des Kaukasus und durch das Schwarze Meer bis nach Istanbul, der Stadt auf zwei Kontinenten.
Über Litauen und Lettland reisten wir nach Moskau. Allein Riga bis Moskau bedeutete 16h Zugfahrt für uns. In Deutschland wäre dies sicherlich viel, hier ist es nur eine Aufwärmübung. Wir kennen Moskau schon von früher: Roter Platz, Kreml, Basilius Kathedrale und Metro bei 40 Grad Minus. Aber nun herrscht hier Sommer mit gnadenloser Hitze und keinem Wölkchen am Himmel. Zwei, drei Tage genießen wir die schöne Stadt, Sommerwetter und die Feiertagsstimmung (erster Ferientag) danach brechen wir auf.
Wir wussten natürlich das es eine weite und lange Fahrt wird, als dann aber tatsächlich 52h auf dem Fahrschein stehen, wird uns die wahre Dimension erst wirklich bewusst.
Über zwei Tage, zwei Übernachtungen, mehrere Vegetationszonen und tausende Kilometer Strecke liegen nun vor uns. Zu Beginn der Fahrt steht das Quecksilber auf knapp 40°C und in unserem
ganzen Waggon ließen sich nur 2-3 Fenster öffnen. Die Luft stand, es war unerträglich heiß und trotz spärlichster Bekleidung lief allen der Schweiß in Strömen. Der 700m lange Zug fährt an und das endlose, monotone Rattern der Räder wird nur alle paar Stunden an den weit auseinander liegenden Bahnhöfen unterbrochen. Hier bieten Babuschkas Eis, Wasser und Gartenprodukte auf den Bahnsteigen an. Wir kaufen etwas Süßgebäck und dazu gibt es frischen Tee aus dem Zugsamowar. Nachts bekommt jeder frische Bettwäsche ausgeteilt, wir klappen die Betten herunter, beenden den Plausch mit den Mitreisenden und gehen schlafen. Erst im Laufe des zweiten Tages wird die Temperatur angenehmer und auch die Landschaft ändert sich langsam. Die unendlich scheinenden Wälder aus Birke, Kiefer und Fichte werden lichter und die Bäume immer kleiner. Während zu Beginn die Natur bereits in voller Blüte stand, werden die Maitriebe nun immer frischer und kürzer bis irgendwann nur noch kahle Zweige mit Knospen zu sehen sind. Wir durchqueren nun die sumpfige Taiga, undurchdringliche Birkendickichte und weit stehende, schmale Fichten wechseln sich mit moorigen Wasserflächen ab. Die Vegetation wird unmerklich dünner und dünner bis wir in der nahezu baumfreien Tundra angekommen sind. Einer Gras- und Buschlandschaft mit vielen halbgefrorenen Sumpfflächen und Wasserläufen. Die bereits in der Taiga einsetzenden Schneestürme werden heftiger und noch vor dem Polarkreis wird alles weiß.
In Workuta angekommen, schlägt uns ein polarer Schneesturm ins Gesicht.
Es ist der 2. Juni und der kälteste Tag den wir in diesen Jahr erlebt haben!
Nach einigen Tagen Zugfahrt sind wir Anfang Juni am Ende der gigantischen Trasse im polaren Ural angekommen. Zu Füßen der nördlichsten Ausläufer des Uralgebirges begrüßt uns Workuta, der Ausgangspunkt unserer Reise, mit Frost und Schneesturm. Natürlich war uns klar dass in Workuta auch im Juni mit recht frischen Temperaturen zu rechnen ist. Tageshöchsttemperaturen im Frostbereich, Schneemann bauen und tagelanges Schneetreiben hatten wir aber nun wirklich nicht erwartet. So schnell wie möglich suchten wir eine Herberge und durch drei Türen kamen wir ins überheizte Gebäude. Die Heizungen laufen hier in allen Gebäuden rund ums Jahr auf vollen Touren und die Innentemperatur lässt sich nur über das Fenster regulieren.Wir nutzten sofort die seltene Gelegenheit am 3. Juni einen Schneemann zubauen. Passanten schauen uns aufmerksam zu, sie sind verwundert, erstaunt und belustigt: vermutlich ist ihnen – nachvollziehbarerweise - unsere Freude am Winter fremd.
Für uns ist dieser „Winter im Sommer“ ein wirklich interessantes Erlebnis... für die Einwohner ist selbst das schon eine Verschnaufpause vom Dauerfrost, denn Ende Juni und Juli wird auch hier der Winter kurz weichen. Für wenige Wochen kann es mit 20-25°C sogar regelrecht warm werden. Bevor Mensch und Natur allerdings wirklich aufleben können, kommt der Winter mit frischer Kraft zurück: frostig, stürmisch, weiß und mit monatelanger Finsternis.
Wir bestaunen momentan das Gegenteil dieser Dunkelheit, die weißen Nächte des Sommers. Rund um die Uhr geht die Sonne nicht unter und auch wenn sie nie zu sehen ist, ist es trotzdem immer hell. Man ertappt sich oft noch nachts drei Uhr beim Lesen, da jegliches Zeitgefühl verloren geht. Workuta war lange Zeit eine geschlossene Stadt, errichtet von russischen Strafgefangenen, politischen Häftlingen und nach dem 2. Weltkrieg von abertausenden Deutschen Kriegsgefangenen.
Die Kohle ist der Existenzgrund dieser abgelegenen Stadt. Die Gefangenen arbeiteten in den Schächten der Umgebung und an der Errichtung der Eisenbahnlinie. Allein das Anlegen der Trasse muss eine gewaltige Arbeit gewesen sein, denn tausende Kilometer geht sie durch Schnee und Frost oder durch undurchdringlichen Sumpf.
Kälte, Schnee, Eis, Hunger, Krankheit, Hoffnungslosigkeit, die Willkür der Wachen und Myriaden von Mücken im Sommer dürften die Arbeit hier zur Hölle gemacht haben. Man sagt die Arbeitsbedingungen für die Eisenbahn waren so hart das unter jeder Schwelle ein Toter liegt. Ein grausiger Gedanke nach dem tagelangen monotonen Geratter im Zug.
Heute verlassen Workuta täglich mehrere Züge von einem reichlichen Kilometer Länge um die Kohle Richtung Süden und sogar bis ins Ausland zu transportieren.
Nach einigen Tagen geht es weiter Richtung Salechard. Mit dem „Polarpfeil“, dem nördlichsten Zug im Ural, queren wir erstmals die Grenze von Europa und Asien. Ein halber Tag Fahrt durch die weiß-fleckige Tundra dann ragen die komplett in Schnee gehüllten Berge des Urals vor uns auf. Nun erscheint uns unser ursprüngliches Vorhaben den Gora Narodnaja (höchster Berg des Ural) zu besteigen äußerst töricht, zu dieser Jahreszeit dürfte dies unmöglich sein.
Kurz vor der Kontinentgrenze erreichen wir einen kleinen Außenposten, ein knappes Dutzend äußerst baufälliger Häuschen. Michael, der „Dorflehrer“, kommt an die Gleise und nimmt ein paar Säcke mit Backsteinen in Empfang. Als die Fahrt weitergeht darf ich sogar für ein paar Stunden in der Lok mitfahren. Wir „donnern“ mit meist 35 km/h durch den polaren Abschnitt des Urals, hier sind die Berge am höchsten und der Ausblick ist einfach fantastisch. Direkt an der Grenze der Kontinente hat man ein kleines Schildchen aufgestellt und Boris der Lokführer schiebt extra für uns einen kleinen Fotostopp ein.
Am Abend nähern wir uns dann Salechard, der einzigen Stadt auf dem Polarkreis, hier wollen wir uns dann auf dem gewaltigen Strom Ob Richtung Süden einschiffen.
Die Kontinentquerung Europa-Asien im polaren Ural liegt nun hinter uns. In Salechard, der einzigen Stadt auf dem Polarkreis, schiffen wir uns auf dem Ob ein. Auf diesem gewaltigen Strom durchqueren wir weite Teile Westsibiriens.
Kaum waren die tief verschneiten Gipfel des Urals unseren Blicken entschwunden, standen wir erstmals vor dem Ob. Der von uns bestaunte Fluss von ca. 2km Breite sollte sich jedoch nur als ein Seitenarm herausstellen. Erst als wir den wirklichen Hauptarm des Ob mit einer Fähre überquerten, konnten wir die gigantischen Dimensionen dieses Stromes langsam erfassen. Die Fährverbindung befindet sich natürlich an einer Engstelle und trotzdem war das gegenüberlegende Ufer kaum zu erkennen. Die Überfahrt nach Salechard dauerte ca. eine halbe Stunde. Eine Weiterfahrt auf dem Ob war aufgrund eines Sturmes vorerst nicht möglich, wir saßen also für eine knappe Woche auf dem Polarkreis fest.
Salechard, die Hauptstadt der autonomen Republik der Nenzen, verdankt Ihre Bedeutung den großen Gas- und Ölverkommen in der Region. Die Ureinwohner dieser Gegend, die Nenzen, trifft man in der bemerkenswert modernen Stadt immer wieder. Ihre typisch asiatischen Gesichtszüge erinnern daran wie weit man inzwischen von zu Hause entfernt ist. Für uns geht es weiter Richtung Süden: Gut zwei Tage fahren wir nun den gigantischen Ob hinauf. Der Strom führt gerade Hochwasser, weite Flächen stehen unter Wasser und man meint auf einem Meer oder doch zumindest einem großen See zu sein. Die Wassermassen dieses Flusses sind mit deutschen Maßstäben nicht zu beschreiben, man könnte in Sekunden damit die Hohenwarte -Talsperre füllen. Wir fahren meist recht mittig den Strom hinauf, trotzdem sind links und rechts die Ufergehölze nur als schmaler Streifen auszumachen. In der extrem flachen Landschaft Sibiriens stellen diese Uferstreifen zugleich unseren Horizont in dieser Wasserlandschaft dar.
In der zweiten Nacht auf Deck reißt der Himmel auf und wir haben die Gelegenheit erstmalig die Mitternachtssonne zu erleben (bis jetzt war es immer bedeckt)... fantastisch! 3 bis 4 mal pro Tag halten wir an kleinen Siedlungen mitten im Nirgendwo. Hier gibt es meist keinen Hafen, das Schiff legt an einer schwimmenden Pattform im Fluss an. Die Plattform wiederum wird dann mit Motorbooten vom Ufer aus erreicht. Für einige abgelegene Ansiedlungen ist dies neben dem Hubschrauber die einzige Verbindung zur Außenwelt. Im Winter bei bis zu 45°C Frost, frieren die Flüsse jedoch zu und auch diese Verbindung reißt für ein halbes Jahr ab. In Oktjabrskoje einem kleinen Städtchen am Mittellauf des Ob gehen wir bei angenehmem Wetter an Land. Der Ort selbst hat keine klaren Grenzen und geht fließend in eine Müllkippe über. Die Müllkippe selbst dünnt sich Stück für Stück aus und nach einigen hundert Metern bleibt nur ein schmaler Müllstreifen entlang der Trasse. Jenseits des Müllstreifens beginnt der Urwald. Oktjabrskoje wurde erst vor 70 Jahren gegründet und außerhalb des Ortes haben die Wälder wohl noch nie eine Axt gesehen. Natürlich will ich mir diesen echten, unverfälschten Sibirischen Urwald anschauen. Ich verließ also die höher gelegene Trasse und stapfte in den erstaunlicherweise nahezu unterholzfreien Wald. Bereits nach wenigen Metern stand ich vor der ersten wassergefüllten Senke, es wurde leicht sumpfig und ich beeilte mich weiterzukommen. Keine 10m weiter der nächste Pfuhl. Auf dem lediglich oberflächlich angetauten Permafrostboden kann kein Wasser absickern und daher verwandelt sich nach der Schneeschmelze ganz Sibirien in ein sumpfiges Mückenparadies. Beim ersten Tümpel konnte ich die Mücken noch mutig ignorieren, doch dann schwand mein Widerstand in Sekunden.
Unzählige große, kleine, summende und lautlose Mücken sahen in mir eine begehrte Mahlzeit. Mein Forschergeist war fürs erste gebrochen und ich flüchtete mich fluchend und nutzlos um mich schlagend zur Trasse zurück. Obwohl das ganze „Abenteuer“ nur Minuten dauerte, musste ich diesen unvorbereiteten Versuch in die sibirische Wildnis einzudringen mit vielen dutzend Stichen bezahlen. Nach dieser letzten Etappe am Ob fuhren wir mit einem Tragflächenboot, hier Meteor genannt, nach Priobje. Ab hier werden wir unsere Reise wieder mit der Eisenbahn fortsetzen. Nach dem Polarural erwartet und nun der südliche Teil des Grenzgebirges und dann das Kaspische Meer!
is wird alles weiß.
In Workuta angekommen, schlägt uns ein polarer Schneesturm ins Gesicht.
Es ist der 2. Juni und der kälteste Tag den wir in diesen Jahr erlebt haben!
Wir haben den Ob bereits in seinem Mittellauf wieder verlassen und fahren nun weiter mit der Eisenbahn in den mittleren Ural. Mehrmals werden wir dabei die europäisch-asiatische Grenze queren und Naturschönheiten bewundern, wir werden industriellen Gigantismus und ein ehemaliges GULAG- Lager sehen und unglücklicherweise auch Bekanntschaft mit dem russischen Geheimdienst FSB machen.
Als wir den riesigen Strom Ob verließen, war uns zunächst unklar wohin wir uns wenden sollten. Wir wollten im nirgendwo im mittleren Ural wandern gehen und dann noch einmal von Asien zurück nach Europa fahren - aber wo und wie wussten wir nicht. Ich hatte mich bei meinen vorbereitenden Recherchen weniger auf diese relativ gut erschlossene Region konzentriert was uns nun auf die Füße fallen sollte.
Auf einer eintägigen Zugfahrt berichtete uns Farchad, ein usbekischer Arzt der tausende Kilometer von zu Haus entfernt im Nordural arbeitet, von einem kleinen Bergdorf. Es liegt in der Nähe des Gebirgskamms und es gibt dort sogar Wege im Wald. Dies ist hier ziemlich ungewöhnlich, da Zecken, Mücken und Fliegen jeden Aufenthalt im Wald so unerträglich machen, das es wohl niemanden einfallen würde ohne triftige Gründe im Wald umher zulaufen. Wir aber haben gute Gründe: wir wollen auf dem Gebirgskamm - und damit der Kontinentgrenze - stehen. Wir reisen also per Zug, Bus, Anhalter und Taxi auf abenteuerlichsten Trassen bis in dieses extrem abgelegene Dorf. Die Gipfel sind noch verschneit dürften aber in einer großen Eintagestour erreichbar sein.
Als wir uns bei einer Tasse Tee auf die morgige Tour freuen, fährt ein roter Niva vor und zwei stämmige Zivilisten befragen uns nach unseren Papieren. Pässe, Visa, Migrationskarte und Registrierung reichen nicht aus, hier wird noch eine zusätzliche Sondererlaubnis gefordert- die wir nicht haben. Trotz unserer mageren Russischkenntnisse wird uns nun ziemlich schnell klar gemacht das wir den russischen Geheimdienst FSB vor uns haben und das wir unerlaubter weise in ein militärisches Sperrgebiet eingedrungen sind. Unsere guten Fotoapparate sowie sonstige Ausrüstung (wir haben ja alles Mögliche für vier Monate dabei) kommt den Herren äußerst suspekt vor. Wir werden daher kurzerhand aufgefordert mit in den 70km entfernten Stützpunkt zum Verhör zu kommen.
Unsere unmöglich gewordene Bergtour ist inzwischen unsere kleinste Sorge. Mehrere Stunden fahren wir ungewissen Entwicklungen entgegen. Unsere „Begleiter“ sind wenig mitteilsam, lassen aber doch durchblicken dass am Ende jeglicher Befragung nur eine sofortige Ausweisung nach Deutschland stehen kann. Bei dem Verhör werden wir getrennt zum genauen Zweck unseres Aufenthalts in dieser abgelegenen Gegend befragt. All unsere Erklärungsversuche stießen jedoch auf Unglauben- in vier Monaten die Kontinentgrenze Europa/ Asien abzureisen klingt wohl auch etwas unglaubwürdig. Ich zeige dem Beamten Fotos von der bisherigen Reise und auch Aufnahmen aus Südamerika, weise unsere Russlandreise minutiös nach, zeige dutzende Grenzstempel und Visa in meinem Pass, erkläre immer und immer wieder Sinn und Zweck der Reise. Stunde um Stunde geht das nun so bis irgendwann das Misstrauen mehr und mehr weicht und einem gewissen aufrichtigen Interesse Platz macht. Schlussendlich werden wir mit einigen (hier nicht zu nennenden) Auflagen und einer saftigen Strafe nach sieben Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt. Wir sind heilfroh mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davon gekommen zu sein und die Reise nicht abbrechen zu müssen. Zügig reisen wir weiter ins europäische Kungur. Hier bestaunen wir eine ganzjährig vereiste Höhle mit interessanten Eisskulpturen und fahren mit Schlauchbooten den Silvafluss hinab.
In einem ganz kleinen, idyllisch gelegenen Örtchen bei Perm besuchen wir die Überreste des berüchtigten, erst 1988 geschlossenen, GULAG „PERM 36“. Von den meisten Gebäuden ist nicht mehr viel zu sehen aber eine in Russland einmalige Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt „PERM 36“ als „Museum der staatlichen Repression in der UdSSR“ zu erhalten. An einigen Stellen wird gebaut und lediglich der Gefängnistrakt hat alle Insassen überlebt und vermittelt nun eine Vorstellung vom damaligen Lagerleben. Die Außenanlagen wirken bei herrlichsten Sommerwetter, satten Bauch und friedlicher Führung keineswegs bedrohlich, beklemmend- ja kaum interessant. Dies ändert sich jedoch wenn man sich im Dokumentationszentrum Fotos, Einzelschicksalen und den schier unfassbaren Fakten des GULAG Systems gegenübersieht: geschätzte 20 Millionen Tote, keine 10% Überlebende, durchschnittliche Lebenserwartung von zwei Jahren. Eine Ehefrau betrachtete sich vom Moment der Inhaftierung ihres Mannes als Witwe. ...Unvorstellbar!
In Ekaterienburg, der drittgrößten Stadt Russlands, angekommen, sieht man den Wirtschaftsaufschwung. Überall wird gebaut: Bürohochhäuser, Hotels und manchmal sogar an den Straßen. Um die Stadt herum entstehen monatlich neue Einkaufszentren von hauptsächlich ausländischen Großkonzernen. Als wir uns durch das Verkehrschaos arbeiten meint Viktor der Taxifahrer: “Ihr habt Glück, heute am Wochenende ist nur wenig Verkehr. Es werden jede Woche mehr Autos und die Straßen werden wöchentlich schlechter.“
Auch Ekaterienburg liegt direkt auf der Kontinentalgrenze Europa/ Asien und bereits am Bahnhof wird man vom Zug aus sichtbar darauf hingewiesen. Das angepriesene Monument stellt sich enttäuschenderweise nur als ein knapp 3m hohes Drahtgestell heraus. Diese wenig eindrucksvolle Metallkonstruktion ist der Startschuss für einen ganzen Europa/ Asien Grenzkomplex der hier entstehen soll: Park, Hotelanlagen, Restaurants usw. Sollen hier in 7 Stufen bis 2018 ausgebaut werden. Stufe 1 (laut Plan 2004 fertig) scheint mir nur unzulänglich vollendet. Von Stufe 2 (2006 laut Plan fertig) ist noch überhaupt nichts zu sehen. Enttäuscht fahren wir einen halben Tag mit dem Bus weiter nach Magnitogorsk.
Dort angekommen fahren wir einige Kilometer an einem gigantischen Werk entlang. Das „Metallurgische Kombinat Magnitogorsk“ ist enorm und dürfte seine Existenz wohl auch dem zweiten Weltkrieg „verdanken“. Der schiere Anblick der hundert qualmenden Essen, die riesige in Beschlag genommene Fläche und die allgegenwärtigen Absperrungen lassen keinen Zweifel, dass hier ein Zentrum der Schwer- und Rüstungsindustrie Russlands vor uns liegt. Die Industrieanlagen entsprechen einer Stadt! Im „Park des Sieges“ vor den Ufern des Uralflusses bestaunen wir bei schönsten Abendlicht eine gewaltige Gedenkstätte der Opfer des 2. Weltkrieges. Im Zentrum steht ein 15m hohes Monument: Zwei riesige Metallarbeiter, die ein gewaltiges Schwert über ihren Köpfen in die Höhe reichen. Dies versinnbildlicht die Rolle von Magnitogorsk im 2 Weltkrieg als es Waffen für die Rote Armee lieferte.
Die riesigen Industrieanlagen mit ihren qualmenden Schloten geben im Licht der sinkenden Sonne ein unwirkliches fast apokalyptisches Bild ab: Der Himmel ist von Qualm und Rauch niedrig und düster- das rote Licht des Sonnenuntergangs verstärkt diesen Eindruck zusätzlich. Mit fortschreitender Dunkelheit sieht man mehr und mehr gewaltige Flammen in dem Werkskomplex leuchten. Als die Nacht hereingebrochen ist, scheint der Moloch aus Stahl und Beton am anderen Ufer des Ural zu brennen.
Der Fluss trennt hier nicht nur zwei Kontinente, er scheint zwei Welten zu trennen: Den der Erholung und Erinnerung dienende Park und den monströsen Fertigungsanlagen der Schwer- und Rüstungsindustrie.
Vor dem gewaltigen Denkmal brennt eine ewige Flamme. Zu beiden Seiten sind gleichmäßig 50 große, quadratische Marmorblöcke in Dreiecken angeordnet. In diese Blöcke sind die Namen der gefallenen Soldaten im 2. Weltkrieg aufgezeichnet. Pro Block dürften dies schätzungsweise 250 sein. Der Park scheint mir nicht primär dem trauernden Gedenken zu dienen, es ist mehr ein Treffpunkt und Ausflugsziel der Stadt. Familien, Spaziergänger und Liebespaare treffen sich hier um eine schöne Zeit zu verbringen. Die absolute Nähe (ca.1km) zu der maßlosesten Umweltverschmutzung die ich je sah, wird dabei offensichtlich nicht als störend empfunden. Im Gegenteil, es scheint einen unterschwelligen Stolz auf das Geleistete zu geben- und eine Leistung war dies in der Tat.
Auf Putins Spuren versuchen wir im Uralgebirge zu wandern, treffen nette Menschen und reisen entlang des Uralflusses nach Atyrau in Kasachstan. Immer auf der Kontinentgrenze Europa / Asien queren wir andere Grenzen: Poltische, Kulturelle, Religiöse und Klimatische.
An unserem letzten Tag in Magnitogorsk geraten wir in den größten Feiertag des Jahres. Die Stadt hat Geburtstag und wird stolze 75 Jahre. Der „Park des Sieges“ ist vor Menschenmassen kaum wieder zu erkennen. Die halbe Stadt tanzt zu lauter Discomusik und wartet auf den Höhepunkt des Abends. Und tatsächlich kurz vor Mitternacht beginnt „Dr. Alban“ unter tosenden Applaus seine „legendäre Show“. In meinen Augen war die Show grottenschlecht und erst als nach „It's my Life“ endlich das Feuerwerk losbrach war ich dann doch begeistert. Ca. 30min lang krachte es nur knapp über den Köpfen der Zuschauermasse. Das ist beeindruckender als unsere „Feuerwerke mit Sicherheitsabstand“... dafür hatten alle ein paar Brandlöcher in der Jacke!
Nach Absakowo, dem bekanntesten Skiort Russlands, fuhren wir aus einer nagelneuen, breiten Straße. Der Busfahrer erklärte uns, dass sogar Putin zum Skifahren hier her kommt - die neue Piste hätte damit aber natürlich nichts zu tun. Absakowo selbst ist eigentlich nur eine Ansammlung von Unterkünften, ein kleiner, trauriger Zoo, ein Spaßbad und eine Liftanlage. Nach unseren gescheiterten Versuchen im zentralen und polaren Ural einen Berg zu besteigen, wollen wir es nun hier schaffen. Interessanterweise gibt es hier keine Wanderwege- eigentlich gibt es gar keine Wege im Wald. Unsere Versuche querfeldein zu marschieren scheitern bald an den unglaublichen Attacken der Mücken. Das Fehlen jeglicher Pfade im Wald scheint uns nun äußerst verständlich und wir beschränken uns notgedrungen darauf die Skipisten „hinaufzuwandern“.
Nun reisen wir weiter über Orsk und Orenburg nach Uralsk - der ersten Stadt in Kasachstan. Die russisch - kasachische Grenze erweist sich als problemloser als wir befürchtet hatten. In knapp vier Stunden sind die sieben Stufen der Kontrolle erledigt. Der letzte Akt der Einreise bedeutete dass jeder Einzelne fotografiert wurde. Dummerweise stand das Fotohäuschen direkt an einem versumpften Wasserlauf, so dass wir alle gnadenlosen Mückenattacken ausgesetzt waren. Die blutsaugende Insektenwolke brachte sogar die Einheimischen zum Fluchen und auch unsere Schutzcreme verhinderte die paarhundert Stiche (38 allein an der linken Wade) nicht. Knapp 100km vor Uralsk gab dann auch noch unser Bus den Geist auf und wir warteten bei Nacht und Regen wieder Stunden bis ein anderer Bus uns mitnahm. In Uralsk übernachteten wir in einem kleinen Hotel im Busbahnhof und kamen dort mit Sergej, der Wache, ins Gespräch.
Er war knapp zehn Jahre als Soldat in der DDR stationiert. Stundenlang erzählte er uns viel Interessantes und kurzweiliges aus seiner Dienstzeit. Sein Lieblingswort aus dieser Zeit ist “Gaststätte“ und gerade an das deutsche Essen und Bier knüpfen sich nur positive Erinnerungen. Als er uns von seiner Zeit in Altenburg erzählt, fragen wir gleich nach ob er denn Skat gelernt hat: „konjeschno - 18, 20, Zwo, Null“ beginnt er sofort an auf Deutsch zu reizen. Nun gibt es kein Halten mehr, wir verabreden uns für den nächsten Tag zum „Skatturnier der internationalen Freundschaft“. In einem kleinen, schönen Biergarten spielen wir nun nach Monaten mal wieder unser Lieblingsspiel. Im Laufe des Abends wird es feuchtfröhlich trotzdem bleiben wir meist beim Bier wenn er sich einen Wodka nach dem anderen genehmigt. Zu später Stunde hebt er noch mal die Vorteile von Wodka hervor und warnt uns vor dem Gerstensaft: “ Bier ist kein Wodka- mit Bier muss man vorsichtig machen. Da kann man nicht so viel trinken!“ ...Nun wissen wir Bescheid! Diesen Abend sitzen wir in Asien und haben Europa in Steinwurfentfernung! Toll! Überhaupt ist Uralsk eine freundliche, weltoffene Stadt, man versteht sich hier als ein eurasisches Zentrum und als Schmelztiegel aller Kulturen. Wenn man bedenkt dass die Stadt Wien näher ist als Alma-Ata, der alten Hauptstadt Kasachstans, ist dies gut nachvollziehbar.
Einige Tage später und wir waren in Atyrau an der Mündung des Ural ins Kaspische Meer angekommen. Die Stadt ist ein Zentrum des Ölbooms in Kleinasien und daher wimmelt es hier von ausländischen Investoren. Das Ölgeschäft spült Unsummen von Geld in die Stadt und das Preisniveau ist sehr hoch. Die Nachfrage an Unterkünften ist so extrem das Hotelzimmer unter 100€ rar sind. Man hat sogar eine kleine, komplett abgeriegelte und bewachte Siedlung für die ausländischen Spezialisten mitten im Zentrum der Stadt errichtet. Keine 200m weiter führt eine Hängebrücke über den Ural.
Diese Fußgängerbrücke wird fürs erste unsere letzte Kontinentquerung bleiben, da wir nun einen kleinen Abstecher von ein paar tausend Kilometern nach Asien vorhaben. Unsere erste Schwierigkeit wird der Fahrscheinkauf nach Aktau. Für die 30h Zugfahrt gibt es einfach keine Plätze. Nach vier Stunden Anstehen gab es am Schalter nur den trockenen Kommentar:“ Plätze nach Aktau - da können Sie in 16 Tagen noch mal nachfragen!“ Prima!
Nachtrag:
Als wir nun nach 45 Tagen Russland verließen, hatte sich unser einseitiger positiver Blick, von früheren Kurzreisen, auf Land und Leute verändert. Bislang waren wir nur als wohlbehütete Gäste bei liebenswürdigen Menschen aufgenommen worden. Nun haben wir uns einige Monate, auf uns allein gestellt, auch mit den Schattenseiten auseinandersetzen müssen. Bis heute kann ich die Mentalität der Russen nicht verstehen. Die gleichen Menschen die Freunde und Gäste aufs herzlichste umsorgen, lassen einen Fremden buchstäblich im Regen stehen. Fahrkartenverkäuferinnen, Hotelrezeptionisten und Busfahrer nutzen stellenweise ihre "Macht", denn man benötigt ja wirklich etwas von Ihnen, brutalst aus.
Ihre Arroganz, demonstrative Gelangweiltheit, Demotiviertheit gepaart mit Inkompetenz verlangt vom "Kunden" eine gefestigte Persönlichkeit. Die Spitze des Eisberges war ein Rausschmiss aus dem einzigen Hotel von Inta, da wir Probleme hatten das dreiseitige Anmeldeformular auszufüllen. Wir standen also wieder draußen im Schneetreiben, den zynischen Kommentar: "Kommt wieder wenn ihr Russisch könnt." in den Ohren klingend und schauten uns verdutzt, verbittert und leicht verzweifelt an. Solche Momente zerstören unglaublich viel von den schönen und guten Seiten die wir natürlich auch erlebt haben.
Ähnlich verhält es sich mit dem russischen Essen. Wann immer wir irgendwo eingeladen waren gab es wirklich viel und gut zu Essen. Das Essen begann meistens mit den typisch russischen Vorsuppen Soljanka, Borscht, Lagman und den leckeren unglaublich klein geschnittenen Salaten. Darauf folgte die Hauptspeise, meist in Form von knusprigem Geflügel und zum Nachtisch gab es zuckersüße Törtchen und Früchte. Dazu wurde von Anfang an Wodka getrunken. Nach dem Essen ging es dann natürlich immer weiter mit Wodka dazu wurde getrockneter Fisch gereicht. Wenn wir zu Gast waren, war der getrocknete Fisch und die Wurst (man ist als Thüringer doch sehr verwöhnt) stets das einzige was uns nicht so gut geschmeckt hat. Auf uns allein gestellt, mussten wir schnell lernen, dass neben der häuslichen Küche eine zweite "öffentliche" Küche in Russland existiert und diese ist gleichzeitig teuer und schlecht. Unsere Erfahrungen reichen von total vertrocknetem Schaschlikfleisch über halbgefrorene Nudeln aus der Mikrowelle bis zu genau abgezählten Pelmeni, kleine Nudelteigtaschen mit Füllung. Überhaupt scheint die einzige Konstante der "öffentlichen" russischen Küche das "Pling" der Mikrowelle zu sein. Die Bedeutung des Essens nimmt gegenüber dem Wodka auf alle Fälle nur eine geringe Stellung ein. In einer Kleinstadt finden sich viele Geschäfte wo man Schnaps kaufen kann, während man nach einer Gaststätte, meist so eine Art Imbissbude zum Reinsetzen, lange suchen muss.
Aber genau diese Gegensätze so unverständlich sie auch sind, sind typisch für Russland: Gegensätze prallen hier stets ohne Mittelmaß aufeinander. Die Russen wischen Nachfragen dazu mit einem ihrer vielen Lieblingssprichwörter vom Tisch: "Man kann Russland nicht verstehen, man kann es nur lieben!"
In Aktau einer boomenden Ölstadt am Kaspischen Meer machen wir unsere erste Bekanntschaft mit dem Islam. Wir treffen interessante Landsleute, reisen knapp 700km in die Wüste zur bedeutendsten kasachischen Pilgerstätte und bewundern Oasen, farbenprächtige Felsformationen und halbwilde Kamele.
Für die Zugfahrkarten Atyrau- Aktau hätten wir über zwei Wochen warten müssen. Wir entschieden uns daher kurzerhand für einen Flug. Für ca. 50€ überflogen wir das Delta des Ural, das Kaspische Meer, Teile der Wüste und waren in einer Stunde da.
Die boomende Ölindustrie hat auch in Aktau die Preise explodieren lassen und wir brauchen lange bis wir eine bezahlbare Unterkunft gefunden haben. Abends gehen wir an die Küste des Kaspischen Meeres und genießen in einem Strandcafe den Anblick der im Meer versinkenden Sonne.
Am nächsten Tag wollen wir die ausstehende Registrierung bei der kasachischen Einwanderungsbehörde erledigen. Uns graut vor dieser nerven-, zeit- und geldfressenden aber notwendigen Prozedur. Als wir ankommen werden unsere schlimmen Erwartungen noch übertroffen. Ein großer Raum ist derartig mit Menschen zugepfercht, dass man Platzangst bekommen könnte. Vor den, kaum ersichtlichen und unbeschrifteten Schaltern drängen sich Menschenmassen die von dem System „Schlange stehen“ wohl noch nie gehört haben. In einer Ecke stehen zwei Europäer und es stellt sich heraus es sind Deutsche. Sie sind mit dem Fahrrad unterwegs vom Bodensee nach Nepal und Himalaja. Die letzte Woche haben sie auf einer Fähre von Baku (Aserbaidschan) nach Aktau zugebracht und sich dabei mit den vielen LKW-Fahrern dort angefreundet. Diese kennen sich mit der Registrierung genau aus und haben auch die Pässe der Radler ihrer „Kontaktperson“ mit vorgelegt. Wir haben riesiges Glück und sie erklären sich bereit auch unsere Dokumente mit registrieren zu lassen. Während der sechs Stunden die wir auf unsere Pässe warten müssen, werden wir sogar zum Essen ins Haus eines Freundes eingeladen. Als wir unsere registrierten Ausweise wiederhaben können wir unser Glück kaum fassen - es ging alles wieder Erwarten schnell, kostenlos und wir haben viele tolle Menschen kennen gelernt. Wir verabschieden uns und hoffen auf ein Wiedersehen.
Mit einem freundlichen „Salam Alaikum“ und neugierigen Blicken werden wir in der Moschee der Stadt begrüßt. Die riesige, mit Mustern und arabischen Schriftzügen verzierte Halle ist bis auf den letzten Quadratmeter mit kleinen Gebetsteppichen ausgelegt. Zurzeit ist es ziemlich leer aber wir werden sofort von einigen Jugendlichen die unsere Unsicherheit bemerken „an die Hand genommen“. Viel verstehen wir nicht von ihren Erklärungen aber die Kernaussage ist klar: Der Islam ist eine tolerante Religion und die Moschee als Haus Gottes steht allen offen- auch uns als Christen. Die Moschee heißt, nach einer Pilgerstätte in der Wüste, Beket Ata und wir werden ermutigt uns doch auch diese Moschee einmal anzuschauen.
Schon am nächsten Tag brechen wir auf: 150km mit dem Bus in die nächste Stadt und von dort noch mal knapp 200km in vier Stunden mit dem Jeep in die Wüste. Wir haben riesiges Glück, mit 40°C Lufttemperatur bleibt es heut recht kühl wenn sich der Uaz (Jeep) auch ganz schön aufheizt.
Jedenfalls sind wir froh mit denn heutigen bequemen Transportmitteln reisen zu können und bewundern die flache Steppe die immer trockener, steiniger und schlussendlich sogar gebirgig wird. Unser Fahrer macht uns auf einen ganz kleinen dunklen Punkt am Horizont aufmerksam und in der halben Stunde die wir dorthin benötigen erklärt er uns Geschichte und Bedeutung dieses 300 Jahre alten Grabes. Dort angekommen beten wir mit den anderen Pilgern mit halbgeöffneten Händen und wir umrunden das Grabmal dreimal. Zu unserer kleinen „Pilgerreise“ gehört auch ein Stopp in Schepet Ata, hier ist eine kleine Moschee in den Fels gehauen. Auch hier wird gebetet und wir bekommen selbst geschöpftes Wasser aus einem 40m tiefen Brunnen - 200km vom nächsten Gewässer entfernt grenzt dies an ein Wunder. Alle Pilger (also auch wir) werden hier kostenfrei mit Tee, Fladenbrot, getrockneten Obst und Süßigkeiten verpflegt.
In Beket Ata selbst steht eine große, wiederum kostenfreie, Herberge für die Pilger bereit. In der Wüste stehen ca. 50 Uaz - Jeeps, welche täglich hunderte Pilger zu diesem heiligen Ort bringen. Auch hier trinken wir gierig vom bereitgestellten kühlen Wasser und können vielleicht ansatzweise die Erleichterung früherer Wüstenreisender beim Erreichen einer Oase nachfühlen. Die berühmte unterirdische Moschee wird erst wieder in den kühleren Morgenstunden geöffnet und bleibt uns daher nicht zugänglich.
Auf der Rückfahrt durch die beeindruckenden Felsformationen des Ustjurt Plateaus fühlt man sich ins Monument Valley der USA versetzt. Die hiesigen Tafelberge weisen allerdings zusätzlich noch eine waagerechte Schichtung auf. Von knallrot über gelb, braun, weiß, grau und schwarz gibt es alle Farben und die gewaltigen Berge sehen fast aus als wären sie bemalt.
Sobald man in der Wüste die ersten Gräser findet, gibt es auch die allgegenwärtigen, halbwilden Kamele. Langsam und mit ihren typischen verdutzt, drolligen Gesichtsausdruck durchstreifen die beeindruckend großen Tiere (über 2,5m) das Umland der Dörfchen und Auls (Kleinstsiedlungen). Als Milch - und Fleischlieferant bilden die Kamele in den kärgsten Gebieten die Lebensgrundlage der Bevölkerung. In etwas fruchtbareren Gebieten kommen Pferd, Schaf und Ziege hinzu.
Bereits am nächsten Tag verließen wir Aktau mit dem Zug in Richtung Aralsk. Diese Stadt lag einst am Ufer des nun schwindenden Aralsees und wir sind gespannt auf diese Hafenstadt in der Wüste. Vorerst liegen allerdings zwei Tage Zugfahrt durch die kasachische Wüste vor uns.
In Aralsk, einer Hafenstadt ohne Zugang zum Wasser, bleiben wir eine Woche. Der Glanz alter, fischreicher Zeiten ist verflossen. Es bleiben sandige Hafenbecken, Fischkutter in der Weite der Wüste und salzige Sandstürme. Doch es gibt Zuversicht und fortgeschrittene Pläne den Aralsee zurückkehren zu lassen.
Nach zwei Tagen im stickig, heißen Zug erquickte uns die kühle Nachtluft der Wüstenstadt bei unserer nachmitternächtlichen Ankunft. Sofort waren wir von der Stadt begeistert und lauschten gern den Berichten der Einheimischen von den alten Zeiten:
Zu Sowjetzeiten war der Aralsee, oder das Aralmeer wie man hier sagt, noch eine riesige zusammenhängende Wasserfläche. So groß das der See sich sein eigenes Klima schaffte und die hiesige Fischfangflotte die erfolgreichste der Sowjetunion war. In den 60er Jahren begann der See zu schrumpfen, da man seinen Wasserzufluss durch ausgedehnte Bewässerungsprojekte minderte. Schließlich fielen weite Teile des Sees trocken, das Wasser versalzte Zusehens und die Fangquoten sanken. Heute ist der See zweigeteilt und die einst stolze Fischfangflotte liegt auf dem Trockenen.
Als erstes besuchten wir den ehemaligen Hafen. Das große sandgefüllte Becken mit einigen vorrosteten Entladekränen sieht ziemlich grotesk aus: Direkt an der Kaimauer beginnt hier die Wüste. Wir wanderten also an einigen rostbraunen Wracks vorbei immer in einer Senke entlang. Vermutlich hat man hier mit einer immer tiefer ausgebaggerten Fahrrinnen für die Schiffe der Austrocknung entgegenwirken wollen. Nun weht aber der Wüstenwind auch diesen letzten verzweifelten Versuch langsam zu. Nur ab und zu sieht man vereinzelt kleine Wasserlachen stehen auf denen sich bereits die Salzkrusten bilden. Weiter draußen in der Wüste ist die gesamte Flotte trocken gelaufen. An einer einzigen Stelle lagen ca. 50 Schiffe im Wüstensand. Heute gibt es dort nicht mal mehr ein knappes Dutzend, da Chinesen die Schiffe zerlegen um den Stahl ins Mutterland zu bringen. Selbst der Anblick dieses kleinen Restes lässt das Ausmaß der Katastrophe erahnen. Der Anblick von 40m langen Fischfangkuttern inmitten der flirrenden Hitze einer Wüste, weit und breit kein Tropfen Wasser und ein mit Muscheln übersäter Sandboden- das hat etwas Unwirkliches und trauriges. Wie zum Hohn liegen im Schatten dieser gewaltigen Wüstenschiffe aus Stahl Wüstenschiffe aus Fleisch und Blut: Kamele suchen hier etwas Schutz vor der sengenden Sonne und liegen mit weit ausholenden Kiefern wiederkäuend im Sand. Unschuldig schauen sie uns neugierig mit ihren schönen, großen Augen zu.
Um die Fischerei zu retten, die Sandstürme zu mildern und die Abwanderung aus dieser Gegend zu beenden gibt es seit längerem Pläne den Aralsee zu retten. Sogar das Umleiten der gewaltigen sibirischen Ströme (siehe Ob) war geplant, scheiterte aber an den monströsen Aufwand. Nun will man zumindest den kleinen Aralsee retten. Dazu hat an einen Damm errichtet der den Abfluss vom „Kleinen Aral“ in den „Großen Aral“ mindert. Da die Wüste, also der frühere Meeresgrund, sehr flach ist, würde schon ein Ansteigen des Wasserspiegels von wenigen Metern hunderte Quadratkilometer unter Wasser setzen. Dadurch wird auch der Salzgehalt im kleinen Aralsee gemindert, so dass Fische wieder überleben können. Der erste Damm wurde bei einem Sturm zerstört aber der zweite steht nun schon seit einigen Jahren und erste Erfolge werden sichtbar. Jedes Jahr breitet sich das Wasser auf weiten Flächen aus und jagt nun wiederum der Wüste Terrain ab. Wüstengras und dornige Hartlaubgewächse die sich gerade erst in der „Jüngsten Wüste der Welt“ angesiedelt hatten, stehen nun im Wasser.
Der Damm selbst ist nur geschätzte fünf Meter hoch und aufgrund seines flach auslaufenden Profils in der Landschaft kaum auffällig, trotzdem wird er wahrscheinlich das Schicksal des Großen Aralsees besiegeln. Die Einwohner von Aralsk sind jedenfalls sehr optimistisch und hoffen das in einigen Jahren ihr Hafenbecken wieder volläuft und sie wieder auf Fischfang gehen können. ... Man kann es ihnen nur wünschen.
Wir werden nun erst einmal die Wüste verlassen und fahren mit Bus und Zug weiter nach Almaty (früher Alma Ata). Bis dorthin sind wir wiederum zwei Tage unterwegs, in Almaty erwarten wir Verstärkung und dann geht es über die Berge weiter nach Kirgisistan.
Ab Almaty sind wir zu Dritt unterwegs und machen uns nun auf zwei Gebirgszüge des Tienschan zu queren. Eine knappe Woche sind wir unterwegs bis zum Yssyk Kyl in Kirgisien. Wir überwinden eisig kalte Gebirgsflüsse, steigen bis über 4000m hohe Pässe, lassen uns von tagelangen Regen durchweichen und zu Füßen des Alatau Gletschers im Zelt einschneien. Dafür sehen wir eine fantastische Hochgebirgslandschaft und entwickeln neue Freundschaften zu unseren hervorragenden Bergführern.
In Almaty ist Stefanie Gunkel, meine Freundin, noch zu uns gestoßen und wir sind also nun die restliche Strecke der Reise zu Dritt unterwegs. Viel Zeit zum akklimatisieren bleibt Ihr nicht: Bereits an Ihrem zweiten Tag in Zentralasien verlassen wir Almaty am frühesten Morgen mit einem Geländewagen in Richtung Kirgisien. Wir sind trotz der frühen Stunde hellwach und starten am „Großen Almatiner See“ mit einer gesunden Mischung aus Vorfreude, Tatendrang und Befürchtungen. Von unseren Bergführern Sascha und Wolodja sind wir von Anfang an begeistert und sollten wahrlich nicht enttäuscht werden.
Wir waren noch keinen halben Tag unterwegs, der wunderschöne Almatiner See lag inzwischen außer Sicht, als sich die kleinen, säulenförmigen Fichten immer weiter stellten bis es schließlich gar keinen Wald mehr gab. Wir schauten noch einmal ins Tal hinab und sahen für die nächsten fünf Tage das letzte Mal Bäume. Nun hatten wir auch unseren ersten Gebirgsfluss zu queren: Wolodja, der Stärkste und Erfahrenste von uns, durchschritt das Wasser zuerst und wir spannten ein Seil. Das Wasser, nur wenige Kilometer vom Gletscher entfernt, dürfte so um die drei bis vier Grad Celsius haben. Die reißende Strömung reicht mir bis zum Hintern. Trotz des Seiles, welches auf den 20m natürlich stark schwankt, habe ich einige Probleme mit dem Gehen auf den glatten, spitzen Steinen und den Anderen geht es ähnlich. Einen Fehltritt kann man sich hier nicht erlauben, da es in der starken Strömung und dem eisigen Wasser wohl kein Halten gäbe. Wir ziehen uns wieder an und steigen bis zum frühen Abend auf. Bei leichten Regen erreichen wir den ersten Pass. Nicht einmal ein Schild oder eine Markierung zeigt an das wir hier nun kirgisisches Hoheitsgebiet betreten. Um Nässe und Kälte schneller zu entkommen gehen wir sofort weiter. Es geht hinunter in ein weites, flaches Tal und wir stellen unsere zwei Zelte auf. Das geliehene Zelt stellt sich als eine blanke Katastrophe heraus: Ein Zwei- Personen- Strandzelt wie es wohl in deutschen Supermärkten für fünf Euro verkauft wird. Wir sind aber zu dritt und das Zelt sollte Stürmen, Dauerregen, Schnee und Frost trotzen können. Eine Plastikfolie mit Steinen beschwert soll das Zelt wenigsten grob dicht halten... was sich nur als mäßig erfolgreich herausstellen sollte. Auch unsere Rucksäcke passen nicht ins viel zu kleine Zelt und müssen, auch in Folie gewickelt, draußen im Regen bleiben. Nachts stürmte und regnete es, die trockenen Flecken in Zelt wurden immer weniger und wir waren mit Wasserschöpfen beschäftigt.
Nach dieser nahezu schlaflosen Nacht brachen wir am nächsten Morgen bei leichtem Regen auf. Wir stiegen hinab in ein sehr breites, wunderbar grünes Tal. In der Ferne sahen wir die Jurten der kirgisischen Nomaden die hier ihre Herden hüten. Einige Reiter trafen wir im Laufe des Tages und wir erkundigten uns bei den netten Menschen nach etwaigen Banditen, die in der letzten Zeit hier ihr Unwesen treiben. Glücklicherweise blieben wir von solchen Begegnungen verschont und der inzwischen stetig anschwellende Regen blieb unser Hauptproblem. Besonders bei den Flußüberquerungen (allein heute drei Stück) ist der Regen arg lästig, da beim ständigen An- und Ausziehen von Bergstiefeln, Socken und Hosen alles nass regnet. Unser Anblick an den Flüssen dürfte recht komisch gewesen sein: Gegen den Regen waren wir mit dicken Jacken, Hut und Folien geschützt und untenherum hatten wir nur eine Unterhose an.
Am nächsten Tag trauten wir unseren Augen kaum: kein Wölkchen war am Himmel zu sehen und die Schneegrenze war über Nacht bis auf 200 Höhenmeter an unser Lager hernieder gerutscht sodass die umliegenden Gipfel weiß waren. Die kräftige Sonne schmolz den Schnee aber schnell wieder zusammen und wir brachen auf in Richtung „Aksu Sewernij“, dem zweiten Pass. Der relativ leichte Aufstieg führte uns durch ein wunderschönes Tal. Nachmittags zog sich das Wetter allerdings schlagartig zu und wir standen unvermittelt in einem Schneetreiben. Zu Füßen des Gletschers bauten wir unsere Zelte auf und lauschten hinaus in den Sturm. Als am Abend schon fünf Zentimeter Schnee lagen, begannen wir uns um unsere weitere Route zu sorgen. Am nächsten Morgen war zwar der Reißverschluss unseres Zeltes noch zugefroren, aber der Himmel war stahlblau und auch die Schneedecke begann bereits in der aggressiven Höhensonne (Ende Juli) zu schwinden. Die ersten Stunden stiegen wir einen blütenweisen Gletscher hinauf und unsere Bergführer erkannten zuverlässig jede der frisch verschneiten Gletscherspalten.
Richtig problematisch wurde es erst, als wir den Eispanzer verlassen mussten, da der weitere Bergpfad verschüttet und zu Beginn unauffindbar war. Dieser halbe Kilometer ohne Weg und Steg am steilen Geröllhang seitlich des Gletschers dürfte wohl der schwierigste Abschnitt der ganzen Tour gewesen sein. Als der schmale Weg endlich erreicht war, begann dann aber das anstrengenste Stück: Ein wohl endloser Pfad zog sich die steile Bergflanke hinauf und weit, ganz weit oben sah man wie zum Hohn einen nahezu unerreichbar scheinenden Pass. Anfangs noch zuversichtlich schritten wir tapfer drauflos begannen aber bald unsere Schritte zu zählen und zum Schluss kämpften wir um jeden Meter. Der Pass ist mit 4052m NN nicht so hoch, dass sich eine dünnere Höhenluft bemerkbar machen würde, aber die schweren Rucksäcke und die vorangegangenen Kilometer machten uns eben doch ganz schön zu schaffen. Schlussendlich standen wir auf einem stürmischen, wunderschönen Pass und blickten ins nächste von weißen Giganten umsäumte Tal. Obwohl wir sehr abgekämpft waren, trieb uns Sascha mit seinem Standartsatz: “Wir gehen!“ an und wir begannen schon nach wenigen Minuten den Abstieg in die Wärme. Bald wurde die Landschaft grüner und wir sahen die frei weidenden Herden der Kirgisen.
In den nächsten zwei Tagen liefen, rasteten und lagerten wir zwischen halbwilden Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen und es ging immer entlang eines idyllischen Flusses. In den tieferen Bereichen fanden sich immer wieder Jurten in denen die Hirten, aber auch Sommergäste aus den großen Städten leben. Auf dem letzten Abschnitt des Weges befindet sich ein Kontrollposten der Kirgisischen Armee und da wir keinen offiziellen Einreisestempel haben sind wir ja illegal im Land. Um Scherereien und Schmiergeldzahlungen aus dem Weg zu gehen, fahren wir unter dem Verdeck eines einheimischen Jeeps unbehelligt durch die Kontrolle. Wolodja kommentiert das trocken: “Es ist Sonntag Mittag- also sind die noch alle total blau.“
Durch die herrlich wilde Grigorevka Schlucht fahren wir nun bis zum Yssyk Kyl See. Dieser riesige See ist 70km breit, 170km lang und liegt zwischen zwei Gebirgszügen des Tieschan. Für knapp fünf Euro quartieren wir uns ein, duschen herrlich und laden Abends Sascha und Wolodja auf ein nachgeholtes „Gipfelbierchen“ ein.
Hier am Strand liegend, die weisen Gipfel jenseits des Sees vor Augen werden wir uns erholen bevor es weiter geht nach Bischkek, der kirgisischen Hauptstadt. Dort treffen wir Freunde, besuchen das deutsche Dorf „Rotfront“ und bestechen ein paar wirklich wichtige Leute.
Nach unserer 5-tägigen Wanderung über zwei Ketten des Tienschan gönnten wir uns ein paar Tage Ruhe am Issyk Kul. Wir besuchten das deutsche Dorf Rotfront und mussten mit mehreren 100 € die Polizeispitze des Landes schmieren.
Der Issyk Kul ist ein riesiger Gebirgssee 180 km lang und 60 km breit. Auf beiden Seiten von hohen Gebirgszügen umgeben, liegt er auf 1600 m über NN. Bei ruhigem Wasser spiegeln sich die schneeweißen Gletscher des Tienschan im türkisblauen Gebirgssee.
In Tscholponata, der größten Stadt am Nordufer, haben wir uns für drei Tage einquartiert. Auf einem erstaunlich großen Basar kauften wir alles was wir brauchten. In dem bunten Getümmel von Obst-, Gemüse-, Fleisch-, Käse-, Honig-, Kleider- und Schuhhändlern fühlt man sich in ein orientalisches Märchen versetzt. Das Probieren, Kosten und ständige Feilschen zwischen den riesigen Bergen aus Melonen, Aprikosen, Pfirsichen und Weintrauben ist Anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, macht dann aber schnell Spaß. Ausländische Touristen gibt es hier so gut wie keine und die Authentizität der Basare ist ungebrochen. Bittet man Händler oder Passanten um ein Foto, lehnen sie nie ab und bedanken sich aufs herzlichste, dass sie fotografiert worden.
Die knapp 300 km bis nach Bischkek, der Hauptstadt Kirgisiens, fahren wir in einem der extrem preiswerten Taxen. Hier machten wir erstmals Erfahrungen mit der Kehrseite der orientalischen Handelsfreudigkeit. Angekommen in der Hauptstadt wurde der vereinbarte Preis deutlich erhöht und es kostete uns einige Zeit und Nerven beim alten Preis zu bleiben. Im Nachhinein haben wir dann erfahren, dass selbst dieser Preis um ca. 1/3 zu hoch war.
In Bischkek wohnten wir bei Freunden. Diese helfen uns auch bei unserem „kleinen“ Stempelproblem. Wir haben nämlich keinen Einreisestempel für das Land, da wir über die „grüne Grenze“ nach Kirgisien eingereist sind und es auf 4000m Höhe eben kein Grenzhäuschen gab. Nach den Buchstaben des Gesetzes sind wir illegal im Land und werden spätestens bei der Ausreise ein gewaltiges Problem bekommen. aber unsere Bekannte kennt jemanden der jemanden kennt, der den Polizeichef kennt. Dieser nimmt unsere Pässe entgegen und stellt uns vor die freie Wahl 100 € pro Person zu bezahlen oder er übergibt die Pässe an die reguläre Polizei. Da mussten wir natürlich nicht lange überlegen.
In „Rotfront“ einem von Deutschen als „Bergtal“ gegründeten Dorf, treffen wir nur noch wenige Deutsche an. Herr Keller nimmt sich dankenswerterweise etwas Zeit für uns und erzählt uns, vor seinem herausstechend ordentlichen und sauberen Haus, etwas von der Geschichte der Deutschen in Kirgisien. Nach der Gründung des Dorfes 1927 war Bergtal ein 100% deutsches Dorf und wurde dann unter der Sowjetregierung in Rotfront unbenannt. Überhaupt wurden den Deutschen von sowjetischer Seite immer wieder Steine in den Weg gelegt. Das Verhältnis zu den Kirgisen ist jedoch von Anbeginn bis heute sehr freundschaftlich und die Deutschen sind in Kirgisien als fleißige, ehrliche und ordentliche Leute bekannt.
In den letzten Jahren sind allerdings die meisten Deutschen aus Bergtal und anderen deutschen Siedlungen in die Heimat ihrer Großeltern zurückgekehrt. Nur wenige Familien haben sich entschieden ihrer neuen Heimat treu zu bleiben, stehen aber in engem Kontakt mit den Zurückgekehrten.
Einige Tage später fahren wir durch die weiten grünen Täler Kirgisiens bis ins dicht besiedelte Ferghanatal. Damit verlassen wir nun erstmals das Hochland und die typischen kirgisischen Jurten werden auch immer weniger. Erst als die letzten dieser weißen Rundzelte verschwunden sind, merken wir wie allgegenwärtig sie in den letzten Wochen waren. An der Grenze zu Usbekistan sollte dann auch unser teurer „Spezialstempel“ seinen Wert beweisen müssen.
Kirgisien mit seinem herrlichen Gebirgssee Yssyk Kul und seinen allgegenwärtigen Yurten liegt nun hinter uns. Entlang der Seidenstraße bestaunen wir die jahrtausende alten Städte Samarkand, Buchara und die märchenhafte Wüstenfestung Chiwa.
Nun standen wir an der kirgisisch-usbekischen Grenze: Es war der kleinste Grenzübergang den ich je gesehen hatte, die Sonne brutzelte gnadenlos, die Luft flimmerte bei gut 40°C und wir wussten nicht so genau ob unser „gekaufter“ Stempel seinen Dienst tun würde. Obwohl die Einheimischen nahezu unbehelligt von Kontrollen über die Grenze stiefelten, wurden wir zur genaueren Überprüfung in ein (dankenswerterweise klimatisiertes) Häuschen geleitet. Die Grenzer waren sehr nett und staunten nicht schlecht über unsere randvoll gestempelten Pässe. Trotzdem fiel natürlich der fehlende Einreisestempel auf. Nachdem die Dumm-Stell-Taktik versagte, erzählten wir von unserem „teuren“ Freund in Bischkek. Daraufhin wurde nun ein ranghöherer Grenzer nach dem Anderen geholt und schließlich erklärten wir die ganze Sache auch dem Chef noch einmal. Der verschwand dann auch noch mal eine Stunde zum Telefonieren und dann ging auf einmal alles ganz schnell: kurze Verabschiedung, drei Stempel, Schranke hoch... und wir waren in Usbekistan. Hier hatten wir zwar alles benötigte, aber die Kontrollen zogen sich trotzdem vier Stunden hin. Einziger Grund war ein fehlender Stempel, der musste erst von irgendwo beschafft werden und solange wurden wir eben gefilzt.
Mit einem Taxi ging es nun weiter nach Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans. Nach der Fahrt wollte der Fahrer noch mal die Hälfte des ausgemachten Fahrgeldes zusätzlich. Als wir uns weigerten, bekamen wir ein kostenloses, hochprofessionelles Theaterstück mit den Akten: Das war vorher so ausgemacht, ich hole sofort die Polizei und ich habe eine kranke Familie. Es war ein Uhr Nachts, wir waren müde und mit den Handelsgewohnheiten nicht vertraut, also die perfekte „Beute“. Trotzdem blieben wir hart und waren auch einigermaßen stolz darauf. Am nächsten Tag haben wir allerdings erfahren, dass selbst unser Preis überteuert war.
Samarkand ist die größte der drei, von uns besuchten, Städte an der Seidenstraße. Der Registan- Platz ist das größte Wahrzeichen der Stadt und als UNESCO- Weltkulturerbe auch weltweit bekannt. Drei wunderschöne Medressen (islamische Schulen) stehen mit ihrer Prachtfassade an drei Seiten des viereckigen Platzes. Die vierte Seite ist offen und stellt den Zugang zu dem wirklich märchenhaften Ensemble dar. Die riesigen Zugangstore der Medressen sind von wunderbar, kunstvollen Mosaiken geziert und führen in die etwas schattigeren Innenhöfe der ehemaligen Universitäten. Hier lehrten einst die großen morgenländischen Gelehrten neben Religionsfragen, Mathematik, Astronomie, Architektur, Medizin... fortgeschrittenes Wissen das erst viel später seinen Weg nach Europa finden sollte. Heute haben Händler hier ihre unzähligen bunten Stände aufgebaut und bieten von toller Handwerkskunst bis zum billigen Krempel alles an, dazu erklingt aus irgendeiner Nische immer typisch orientalische Musik. Würde nicht ab und zu ein Tourist mit Fotoapparat umherlaufen, könnte man denken ins orientalische Mittelalter versetzt zu sein. In den wunderbar kühlen Innenhöfen kann man auch bei guten Tee und Leckereien den Vorstellungen einheimischer Künstler zuschauen.
Auf der Seidenstraße fuhren wir nachts weiter nach Buchara. Es ist zwar schade die berühmte Handelsstraße, die von China und Indien bis nach Italien und Mitteleuropa reichte und schon von Alexander dem Großen genutzt wurde, nur im Dunkeln zu bereisen, aber es ist tagsüber einfach zu heiß. Mehrmals hatten wir Temperaturen von über 50°C und versuchten daher (wie alle Einheimischen auch) so viele Aktivitäten wie möglich in den Abend und die Nacht zu verlegen.
In Buchara gibt es eine bemerkenswert gut erhaltene Festung aus dem 13. Jahrhundert mit über zwei Meter dicken Mauern und mehreren Moscheen mit hohen Minaretten. Besonders im warmen Abendlicht ist der malerische Anblick orientalischer Baukunst unvergesslich. Die ca. 500 Wüstenkilometer von Buchara entfernte Festungssiedlung Chiwa ist die kleinste der drei Städte. Sie liegt fast komplett innerhalb der noch sehr gut erhaltenen Stadtmauern von nur 600m Länger und 400m Breite. In der hervorragend restaurierten Stadt finden sich heute viele Museen, Medressen, Hotels und Handwerker. Die Altstadt ist die am besten Erhaltene von ganz Zentralasien.
So verschieden die einzelnen Städte auch sind, durch ihre bunten Basare mit den riesigen Melonenstapeln, herum tollenden Kindern und Wasser holenden Frauen, strömen sie alle einen exotischen Zauber aus. Einen Zauber der bei uns in Deutschland mit all unseren sterilen Supermärkten und abgeschlossenen Wohnräumen schon lange verloren gegangen ist.
Nun werden wir das Land aus 1000 und einer Nacht verlassen und reisen weiter über das kaspische Meer nach Aserbaidschan und weiter ins herrliche Georgien.
Die Jahrtausende alten Städte an der Seidenstraße liegen nun weit hinter uns auf der anderen Seite des kaspischen Meeres. Wir reisen von Baku einer boomenden Ölmetropole ins Georgien. Hier erleben wir aufs Neue eine Jahrtausende alte und stolze Kultur. Bei Freunden lernen wir die unglaubliche georgische Gastfreundschaft, den Wein und die gute Küche kennen.
Schon beim Anflug, über das kaspische Meer, auf Baku ist das wirtschaftliche Rückrad Aserbaidschans unübersehbar, Öl. Die Ganze Küste ist mit hunderten Ölplattformen verbaut. an Land ist alles mit der zugehörigen Öl verarbeitenden Infrastruktur genauso zugepflastert. Das Wasser im Hafen Bakus schillert, dank eines Ölfilms, in allen Farben des Regenbogens. Obwohl die umliegenden Strände nicht die saubersten sein dürften, sieht man immer wieder Leute im Meer schwimmen, die Ölplattformen immer in Sicht.
Die Stadt Baku selbst ist eine gewaltige Baustelle. In der Innenstadt stehen unzählige Rohbauten und abrissfertige Altbauten neben wenigen schon vollendeten Hochhäusern. Finanziert wird dieser unglaubliche Bauboom mit den Milliarden aus dem Ölgeschäft. auf unserer Fahrt nach Qobustan, einer Fundstätte prähistorischer Felszeichnungen, war vom milliardenschweren Aufschwung aber schon kurz hinter Bakus Stadtgrenze nichts mehr zu sehen.
Die Petroglyphen in Qobustan sind aus der Steinzeit und gehören zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Tier-, Jagd- und Menschdarstellungen zählen zu den weltweit am besten erhaltenen. Ganz für uns allein erkunden wir das weitläufige Felsgelände. Trotzdem bleiben wir brav auf dem Weg, da hier allerhand Giftschlagen unterwegs sein sollen.
Schon beim Anflug, über das kaspische Meer, auf Baku ist das wirtschaftliche Rückrad Aserbaidschans unübersehbar, Öl. Die Ganze Küste ist mit hunderten Ölplattformen verbaut. an Land ist alles mit der zugehörigen Öl verarbeitenden Infrastruktur genauso zugepflastert. Das Wasser im Hafen Bakus schillert, dank eines Ölfilms, in allen Farben des Regenbogens. Obwohl die umliegenden Strände nicht die saubersten sein dürften, sieht man immer wieder Leute im Meer schwimmen, die Ölplattformen immer in Sicht.
Die Stadt Baku selbst ist eine gewaltige Baustelle. In der Innenstadt stehen unzählige Rohbauten und abrissfertige Altbauten neben wenigen schon vollendeten Hochhäusern. Finanziert wird dieser unglaubliche Bauboom mit den Milliarden aus dem Ölgeschäft. auf unserer Fahrt nach Qobustan, einer Fundstätte prähistorischer Felszeichnungen, war vom milliardenschweren Aufschwung aber schon kurz hinter Bakus Stadtgrenze nichts mehr zu sehen.
Die Petroglyphen in Qobustan sind aus der Steinzeit und gehören zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Tier-, Jagd- und Menschdarstellungen zählen zu den weltweit am besten erhaltenen. Ganz für uns allein erkunden wir das weitläufige Felsgelände. Trotzdem bleiben wir brav auf dem Weg, da hier allerhand Giftschlagen unterwegs sein sollen.
Wir werden also von 1700 Höhenmetern aufbrechen und versuchen in einer 4-tägigen Tour den Gipfel zu erreichen.
Kasbegi ist ein kleiner Ort auf gut 1500m über NN, der nur wenige km von der russischen Grenze entfernt ist. Es gibt eine löchrige Teerstraße, Schweine und Geflügel auf den Straßen und viele reparaturbedürftige Häuser. Supermarkt, Bankautomat und Internet gibt es hier nicht. Man könnte glauben an einem trüben Ort zu sein, aber die spektakuläre Natur macht hier so einiges wieder gut. Extrem steile Berghänge flanieren das Dorf auf der einen Seite und auf der anderen Seite erhebt sich majestätisch der Kasbek. Auf einem kleinen Berg vor dem Kasbek steht malerisch die Wallfahrtskirche Sminda Sameba.
Wir suchten und fanden unseren, von Freunden empfohlenen, Bergführer Surabi. Er ist ein älterer Mann, dem seine Bergerfahrung ins Gesicht geschrieben steht. Auf unsere Frage wie oft er schon auf dem Gipfel des 5000ers war, antwortet er gleichgültig: „ Bei 100 habe ich aufgehört zu zählen.“ und schiebt dann grinsend nach: „…dass muss ungefähr vor 15 Jahren gewesen sein.“ Unglaublich!
Am nächsten Morgen brechen wir früh auf und marschieren mit einem Riesentempo den Berg hinauf. Die ersten 300 Höhenmeter schaffen wir in nur 30 min. Surabis Tempo hält jedoch keiner von uns mit und er wartet nur ab und zu auf kleinen Pässen, Weggablungen, Gebirgsflüssen und zu überquerenden Gletschern. Er ist ein guter, aber hart fordernder Bergführer. In fünf Stunden und 15 Minuten treibt er uns mit nur einer 10 min Pause die ganzen 2000 Höhenmeter hinauf zum Basislager, einer ehemaligen Wetterstation. Hier auf 3700m bleiben wir einen ganzen Tag zu Akklimatisierung und zum üben wie man mit Steigeisen, Eispickel und Seil fachmännisch umgeht. Am 3. Tag ist um ein Uhr Nachts wecken oder besser aufstehen, denn schlafen konnte keiner. voller Erwartungen, Tatendrang und einem mulmigen Gefühlt zogen wir uns alle Ausrüstung an und starteten in die stockfinstere Nacht. Kein Mond und kein Stern durchbrach die Dunkelheit und unsere einfachen Lampen leuchteten nur wenige Meter aus. Im Gänsemarsch folgten wir den zügig voranstapfenden Führern.
Der Wind den wir schon am Basislager verspürten, gefiel Surabi von Anfang an nicht und er sollte Recht behalten. Schon nach wenigen hundert Höhenmetern Aufstieg mischten sich die ersten Schneeflocken in den nun stark auffrischenden Wind. Surabi versicherte uns das dies nur ein leichter Vorgeschmack auf die wirklich gefährlichen Teile des Aufstiegs wären und empfahl unsere Kräfte für einen zweiten Versuch am folgenden Morgen zu schonen. Einsichtig, aber doch leicht verstimmt kehrten wir um und lagen gegen vier Uhr morgens wieder in unseren Betten. Zu einem Aufstieg am Folgetag sollte es allerdings auch nicht kommen. Nach einem relativ schönen Tag begann es am späteren Abend erneut leicht zu schneien. Während der Nacht wurde daraus ein wahrer Schneesturm mit Blitz und Donner. Die Gewitter waren manchmal so nah, dass man zwischen Blitz und Donner kaum eine Sekunde zählen konnte. Darüber hinaus hörten wir mindestens vier Lawinenabgänge und entschieden uns vernünftig, aber unzufrieden im Bett zu bleiben. Damit waren unsere Hoffnungen den Kasbek dieses Jahr zu bezwingen gescheitert. Wir entschieden uns nun zum Abstieg, da das Wetter auf absehbare Zeit nichts Gutes versprach. Vorher ging ich jedoch mit Stefanie zu einer nahe gelegenen Kirche.
Knapp 500 Meter stiegen wir auf 4200m über NN und standen vor der kleinen Blechkabine mit Kreuz. Stahlseile fixierten das 3m² große „Kirchenschiff“ mit dem minimalistisch, aber liebevoll gestalteten Altar. Ja das war nun der große Moment, ziemlich aufgeregt zog ich einen Ring hervor und fragte Stefanie, ob sie denn einer Verlobung zustimmen würde. Erst schaute sie mich ziemlich verdattert an, stimmte aber dann doch wenig zögerlich zu. Froh stiegen wir wieder ab bis ins Tal und der gescheiterte Gipfelversuch, auf dem ich den Ring ursprünglich übergeben wollte, wog nicht mehr gar so schwer.
In Kasbegi herrschte heut der größte Feiertag des Landes. Obwohl wir ziemlich erschöpft waren (2500 Höhenmeter Abstieg in 5 Stunden) mussten bzw. durften wir an vielen Feierplätzen mittrinken und mitessen. Frisch geschlachtete Ziegen, Hammel, Schwein, Unmengen von Wein und Melonen hatten wir schon konsumiert, bevor wir leicht angeheitert Surabis Haus erreichten. Hier war auch schon wieder aufgetafelt, dass sich die Tische bogen. Man ließ uns nicht mal Zeit zum Stiefel aus- bzw. komplett umzuziehen und nötigte uns sofort zu Tisch. Viele Kannen Wein wurden diesen Abend auf Frieden, Gott, Kinder und Eltern, sowie auf die deutsch-georgische Freundschaft geleert.
Mit verhaltener Agilität erhoben wir uns am frühen Morgen und verließen den wunderschönen Ort mit der festen Absicht zurückzukehren.
Eine kurze Stippvisite zur nahen russischen Grenze scheiterte, da die einzige Straße vor einigen Tagen durch den rasenden Gebirgsfluss Terek weggespült wurde. Es existiert nun keine einzige Landverbindung zum nördlichen Nachbarn Russland mehr.
Wir haben den Ob bereits in seinem Mittellauf wieder verlassen und fahren nun weiter mit der Eisenbahn in den mittleren Ural. Mehrmals werden wir dabei die europäisch-asiatische Grenze queren und Naturschönheiten bewundern, wir werden industriellen Gigantismus und ein ehemaliges GULAG- Lager sehen und unglücklicherweise auch Bekanntschaft mit dem russischen Geheimdienst FSB machen.
Als wir den riesigen Strom Ob verließen, war uns zunächst unklar wohin wir uns wenden sollten. Wir wollten im nirgendwo im mittleren Ural wandern gehen und dann noch einmal von Asien zurück nach Europa fahren - aber wo und wie wussten wir nicht. Ich hatte mich bei meinen vorbereitenden Recherchen weniger auf diese relativ gut erschlossene Region konzentriert was uns nun auf die Füße fallen sollte.
Auf einer eintägigen Zugfahrt berichtete uns Farchad, ein usbekischer Arzt der tausende Kilometer von zu Haus entfernt im Nordural arbeitet, von einem kleinen Bergdorf. Es liegt in der Nähe des Gebirgskamms und es gibt dort sogar Wege im Wald. Dies ist hier ziemlich ungewöhnlich, da Zecken, Mücken und Fliegen jeden Aufenthalt im Wald so unerträglich machen, das es wohl niemanden einfallen würde ohne triftige Gründe im Wald umher zulaufen. Wir aber haben gute Gründe: wir wollen auf dem Gebirgskamm - und damit der Kontinentgrenze - stehen. Wir reisen also per Zug, Bus, Anhalter und Taxi auf abenteuerlichsten Trassen bis in dieses extrem abgelegene Dorf. Die Gipfel sind noch verschneit dürften aber in einer großen Eintagestour erreichbar sein.
Als wir uns bei einer Tasse Tee auf die morgige Tour freuen, fährt ein roter Niva vor und zwei stämmige Zivilisten befragen uns nach unseren Papieren. Pässe, Visa, Migrationskarte und Registrierung reichen nicht aus, hier wird noch eine zusätzliche Sondererlaubnis gefordert- die wir nicht haben. Trotz unserer mageren Russischkenntnisse wird uns nun ziemlich schnell klar gemacht das wir den russischen Geheimdienst FSB vor uns haben und das wir unerlaubter weise in ein militärisches Sperrgebiet eingedrungen sind. Unsere guten Fotoapparate sowie sonstige Ausrüstung (wir haben ja alles Mögliche für vier Monate dabei) kommt den Herren äußerst suspekt vor. Wir werden daher kurzerhand aufgefordert mit in den 70km entfernten Stützpunkt zum Verhör zu kommen.
Unsere unmöglich gewordene Bergtour ist inzwischen unsere kleinste Sorge. Mehrere Stunden fahren wir ungewissen Entwicklungen entgegen. Unsere „Begleiter“ sind wenig mitteilsam, lassen aber doch durchblicken dass am Ende jeglicher Befragung nur eine sofortige Ausweisung nach Deutschland stehen kann. Bei dem Verhör werden wir getrennt zum genauen Zweck unseres Aufenthalts in dieser abgelegenen Gegend befragt. All unsere Erklärungsversuche stießen jedoch auf Unglauben- in vier Monaten die Kontinentgrenze Europa/ Asien abzureisen klingt wohl auch etwas unglaubwürdig. Ich zeige dem Beamten Fotos von der bisherigen Reise und auch Aufnahmen aus Südamerika, weise unsere Russlandreise minutiös nach, zeige dutzende Grenzstempel und Visa in meinem Pass, erkläre immer und immer wieder Sinn und Zweck der Reise. Stunde um Stunde geht das nun so bis irgendwann das Misstrauen mehr und mehr weicht und einem gewissen aufrichtigen Interesse Platz macht. Schlussendlich werden wir mit einigen (hier nicht zu nennenden) Auflagen und einer saftigen Strafe nach sieben Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt. Wir sind heilfroh mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davon gekommen zu sein und die Reise nicht abbrechen zu müssen. Zügig reisen wir weiter ins europäische Kungur. Hier bestaunen wir eine ganzjährig vereiste Höhle mit interessanten Eisskulpturen und fahren mit Schlauchbooten den Silvafluss hinab.
In einem ganz kleinen, idyllisch gelegenen Örtchen bei Perm besuchen wir die Überreste des berüchtigten, erst 1988 geschlossenen, GULAG „PERM 36“. Von den meisten Gebäuden ist nicht mehr viel zu sehen aber eine in Russland einmalige Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt „PERM 36“ als „Museum der staatlichen Repression in der UdSSR“ zu erhalten. An einigen Stellen wird gebaut und lediglich der Gefängnistrakt hat alle Insassen überlebt und vermittelt nun eine Vorstellung vom damaligen Lagerleben. Die Außenanlagen wirken bei herrlichsten Sommerwetter, satten Bauch und friedlicher Führung keineswegs bedrohlich, beklemmend- ja kaum interessant. Dies ändert sich jedoch wenn man sich im Dokumentationszentrum Fotos, Einzelschicksalen und den schier unfassbaren Fakten des GULAG Systems gegenübersieht: geschätzte 20 Millionen Tote, keine 10% Überlebende, durchschnittliche Lebenserwartung von zwei Jahren. Eine Ehefrau betrachtete sich vom Moment der Inhaftierung ihres Mannes als Witwe. ...Unvorstellbar!
In Ekaterienburg, der drittgrößten Stadt Russlands, angekommen, sieht man den Wirtschaftsaufschwung. Überall wird gebaut: Bürohochhäuser, Hotels und manchmal sogar an den Straßen. Um die Stadt herum entstehen monatlich neue Einkaufszentren von hauptsächlich ausländischen Großkonzernen. Als wir uns durch das Verkehrschaos arbeiten meint Viktor der Taxifahrer: “Ihr habt Glück, heute am Wochenende ist nur wenig Verkehr. Es werden jede Woche mehr Autos und die Straßen werden wöchentlich schlechter.“
Auch Ekaterienburg liegt direkt auf der Kontinentalgrenze Europa/ Asien und bereits am Bahnhof wird man vom Zug aus sichtbar darauf hingewiesen. Das angepriesene Monument stellt sich enttäuschenderweise nur als ein knapp 3m hohes Drahtgestell heraus. Diese wenig eindrucksvolle Metallkonstruktion ist der Startschuss für einen ganzen Europa/ Asien Grenzkomplex der hier entstehen soll: Park, Hotelanlagen, Restaurants usw. Sollen hier in 7 Stufen bis 2018 ausgebaut werden. Stufe 1 (laut Plan 2004 fertig) scheint mir nur unzulänglich vollendet. Von Stufe 2 (2006 laut Plan fertig) ist noch überhaupt nichts zu sehen. Enttäuscht fahren wir einen halben Tag mit dem Bus weiter nach Magnitogorsk.
Dort angekommen fahren wir einige Kilometer an einem gigantischen Werk entlang. Das „Metallurgische Kombinat Magnitogorsk“ ist enorm und dürfte seine Existenz wohl auch dem zweiten Weltkrieg „verdanken“. Der schiere Anblick der hundert qualmenden Essen, die riesige in Beschlag genommene Fläche und die allgegenwärtigen Absperrungen lassen keinen Zweifel, dass hier ein Zentrum der Schwer- und Rüstungsindustrie Russlands vor uns liegt. Die Industrieanlagen entsprechen einer Stadt! Im „Park des Sieges“ vor den Ufern des Uralflusses bestaunen wir bei schönsten Abendlicht eine gewaltige Gedenkstätte der Opfer des 2. Weltkrieges. Im Zentrum steht ein 15m hohes Monument: Zwei riesige Metallarbeiter, die ein gewaltiges Schwert über ihren Köpfen in die Höhe reichen. Dies versinnbildlicht die Rolle von Magnitogorsk im 2 Weltkrieg als es Waffen für die Rote Armee lieferte.
Die riesigen Industrieanlagen mit ihren qualmenden Schloten geben im Licht der sinkenden Sonne ein unwirkliches fast apokalyptisches Bild ab: Der Himmel ist von Qualm und Rauch niedrig und düster- das rote Licht des Sonnenuntergangs verstärkt diesen Eindruck zusätzlich. Mit fortschreitender Dunkelheit sieht man mehr und mehr gewaltige Flammen in dem Werkskomplex leuchten. Als die Nacht hereingebrochen ist, scheint der Moloch aus Stahl und Beton am anderen Ufer des Ural zu brennen.
Der Fluss trennt hier nicht nur zwei Kontinente, er scheint zwei Welten zu trennen: Den der Erholung und Erinnerung dienende Park und den monströsen Fertigungsanlagen der Schwer- und Rüstungsindustrie.
Vor dem gewaltigen Denkmal brennt eine ewige Flamme. Zu beiden Seiten sind gleichmäßig 50 große, quadratische Marmorblöcke in Dreiecken angeordnet. In diese Blöcke sind die Namen der gefallenen Soldaten im 2. Weltkrieg aufgezeichnet. Pro Block dürften dies schätzungsweise 250 sein. Der Park scheint mir nicht primär dem trauernden Gedenken zu dienen, es ist mehr ein Treffpunkt und Ausflugsziel der Stadt. Familien, Spaziergänger und Liebespaare treffen sich hier um eine schöne Zeit zu verbringen. Die absolute Nähe (ca.1km) zu der maßlosesten Umweltverschmutzung die ich je sah, wird dabei offensichtlich nicht als störend empfunden. Im Gegenteil, es scheint einen unterschwelligen Stolz auf das Geleistete zu geben- und eine Leistung war dies in der Tat.
Wir bewunderten die herrliche Natur und beeindruckende Kultur Georgiens und erholen uns ein wenig am Strand des Schwarzen Meeres. Dann erreichen wir die letzte Etappe der Reise: Istanbul! Hier treffen wir Freunde aus der Heimat und fahren mit dem Kleinlaster vom Bosporus nach Rudolstadt.
Tbilissi verließen wir nur recht ungern, da diese schöne Stadt so ziemlich die letzte große Station der Reise war und unsere monatelange Tour nun dem Ende entgegen ging. Richtung Westen fuhren wir nach Megrelien, eine der schönsten und fruchtbarsten Regionen Georgiens. Hier wachsen Feigen, Melonen, Granatäpfel, Kiwi, Wein und hochwertiger Tee. Die Fruchtbarkeit des Bodens ist sprichwörtlich. Die Georgier sagen über ihr Land: „Stecke einen Stock in die Erde und komme zurück um zu ernten!“
Von Megrelien aus machten wir noch einen Abstecher ins nördlich gelegene Swanetien. Diese Region Georgiens liegt in den unzugänglichsten Bereichen des hohen Kaukasus. Die wenigen Einwohner sind sehr stolz auf ihre jahrtausende alte Kultur und bekannt für ihre kriegerische Geschichte die bis in die Gegenwart reicht. Die extrem harten Lebensbedingungen, die häufigen Kriege mit Persern, Osmanen, Russen und die ständigen Fehden zwischen den Clans führten zu einer starken Zurückgezogenheit und der Entwicklung eigener Bräuche und Traditionen. Am sichtbarsten wird dies in der einzigartigen Architektur: Ganz Swanetien ist von den beeindruckenden Wohntürmen geprägt. Diese Türme sind quadratisch, ca. 15m hoch und verjüngen sich nach oben leicht. Aus Sicherheitsgründen gibt es im ganzen Turm keine Fenster sondern nur oben drei kleine Schießscharten in jede Richtung.
Während Belagerungen oder bei extremen Schneelagen (fünf Meter sind keine Seltenheit) flüchten die Swanen aus ihren Wohnhäusern in ihre „persönlichen Schutzburgen“. Dort können sie monatelang ihren Belagerern trotzen oder die schneereichen Winter aussitzen.
Der Höhepunkt unseres Swanetienbesuchs war zweifellos Uschguli. Dieses Dorf liegt extrem abgelegen und ist nur mit einem wirklich guten Geländefahrzeug zu erreichen. Unter bewaffneten Polizeischutz fuhren wir entlang der spektakulärsten Gipfel des Hohen Kaukasus durch enge Schluchten auf ca. 2200 m und erreichten dort das höchste Dorf Europas. Die Ortschaft wird malerisch von Bergen eingerahmt, die im Norden gleichzeitig die Grenze nach Tschetschenien bilden. Der Ort selbst scheint unverändert aus dem 16 Jahrhundert in unsere Zeit hinüber gerettet: Dutzende steinerne Türme ragen in den Himmel, die Gassen sind eng, dunkel und unbefestigt, die Dächer mit flachen Steinen gedeckt und Schweine, Hühner und Gänse streunen um die Häuser. Die wenigen Bewohner halten sich im Hintergrund und scheinen uns Fremden gegenüber arg skeptisch aber natürlich auch ein Stück weit neugierig. In kleiner Junge beobachtete uns verstohlen aus einer Tür heraus und in einen Moment als er sich unbemerkt glaubte, zog er ein Fotohandy aus der Tasche und fotografierte uns. Ich bemerkte dies und fotografierte ihn nun seinerseits als er sein Bild betrachtete. Eine lustige und in Anbetracht unserer mittelalterlichen Umgebung auch bemerkenswerte Situation. Auf dem Weg durch das Dorf sahen wir immer wieder Frauen mit Waschbrettern, riesige Schlitten mit denen das Heu eingefahren wird und neugierige Kinder auf Pferden aber man sah auch Satellitenschüsseln hinter den Häusern und eben Fotohandys... Die Zeit scheint sich hier einfach nicht zwischen Spätmittelalter und Moderne entscheiden zu können.
Nach unseren Abstecher nach Swanetien fuhren wir weiter Richtung Westen ans Schwarze Meer. Auf dem Weg dorthin stoppten wir kurz an den Ruinen der antiken Stadt Kolcha in der die Argonauten der griechischen Sage nach das Goldene Vlies stahlen. Hier waren wir auch im herrlich klaren und angenehm warmen Wasser des Flusses baden. Am Abend erreichten wir das schwarze Meer und konnten beobachten wie die Sonne im Wasser versank. In den folgenden Tagen badeten wir ausgiebig und erholten uns am Strand. Kurioserweise ist der schwarze Sand hier magnetisch und soll sehr heilsam sein.
Nach drei Tagen verließen wir nach einem schweren Abschied unseren Freund Tschabuka und brachen auf zu unserem letzten großen Etappenziel: Istanbul! Tausend Kilometer Busfahrt und wir erreichten die riesige Metropole am Bosporus. Nahe am touristischen Zentrum bei der Hagia Sophia und der Blauen Moschee trafen wir auf unsere Freunde von zu Haus. Reiko Deutsch aus Preilipp und Markus Ulbrich aus Volkstedt warteten bereits in einem Biergarten auf uns. Nach vier Monaten reisen war dies für uns alle ein toller Augenblick. Sie hatten sogar einen Thüringer Rost, Holzkohle gutes Thüringer Bier und Fleisch mitgebracht. Auf unsere verwunderte Nachfrage wie sie das alles transportiert hatten, erklärten sie lapidar: “Wir sind die 3000 km mit einem Kleintransporter gekommen und da haben wir schon genug Platz.“ Am Abend platzierten wir den Rost direkt am Ufer des Bosporus, beobachteten Istanbul im Abendlicht und verdrückten ein paar Rostbrätchen mit lecker Bier. Die unzähligen Passanten schauten stets verdutzt und belustigt aber nie ablehnend dem ungewöhnlichen Treiben zu.
Wir blieben noch einige Tage in Istanbul und besuchten die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt, kauften auf den Basaren ein und genossen ein wenig den „Abspann“ der Reise. Dann ging es mit dem Kleinlaster noch mal fix rüber nach Asien bevor wir uns endgültig aufmachten die Heimat zu erreichen. Innerhalb von drei Tagen fuhren wir durch Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich zurück nach Hause und kamen alle wohlbehalten von dieser viermonatigen Tour zurück.
Froh wieder gesund zu Hause zu sein schreibe ich diesen letzten Text und möchte die Gelegenheit nutzen allen unterstützenden „Kräften“ unterwegs wie zu Hause zu danken.
PS: Die Welt bleibt groß und lockt- mal sehen wie es weitergeht!